Verkehrsflächen wirtschaftlich und barrierefrei gestalten
Bei der Barrierefreiheit haben viele Planende vor allem eine Norm im Blick. Das übergeordnete Gebot der Verkehrssicherheit aus der Bauordnung bleibt oft unberücksichtigt. Ein integrativer Planungsansatz hilft, alle Schutzziele rechtssicher und zugleich wirtschaftlich zu erreichen.


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Barrierefreiheit ist längst keine Kür mehr, sondern eine gesetzlich verankerte Pflicht – in fast allen Bundesländern. Neue Vorgaben etwa in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Thüringen und Rheinland-Pfalz setzen auf umfassende Zugänglichkeit statt auf Einzelfallregelungen. Für Planende und Bauverantwortliche bedeutet das: Verkehrsflächen, ob öffentlich oder privat, müssen nicht nur normgerecht, sondern auch sicher und funktional gestaltet werden – möglichst wirtschaftlich.
Dabei lohnt sich ein differenzierter Blick auf die geltenden Regelwerke. Sich nur an einzelnen Normen zu orientieren, führt häufig zu Lösungen, die unnötig teuer sind und im schlimmsten Fall sogar das übergeordnete Ziel der Verkehrssicherheit gefährden. Bei der Abwägung, welche Normen relevant sind, unterstützen unabhängige Stellen wie TÜV Süd.
Verkehrssicherheit: Übergeordnetes Schutzziel der Planung
Die zentrale Planungsgrundlage für barrierefreies Bauen ist die Normenreihe DIN 18040. Sie deckt mit ihren drei Teilen ein breites Spektrum ab: Teil 1 gilt für öffentlich zugängliche Gebäude wie Geschäfte oder Verwaltungsbauten, Teil 2 regelt Wohngebäude und Teil 3 befasst sich mit dem öffentlichen Verkehrsraum wie Plätzen und Bahnhöfen.
Doch über der Norm steht ein grundlegendes Schutzziel: die Verkehrssicherheit. Sie ist im Bauordnungsrecht verankert. Bauliche Anlagen müssen so gestaltet sein, dass sie keine Gefahren für die Nutzer darstellen – und zwar während der gesamten Lebensdauer. Verantwortlich sind in der Regel Eigentümer oder Betreiber. Werden Gefahrenquellen nicht erkannt, drohen nicht nur Unfälle, sondern auch erhebliche Haftungsrisiken.
Planungsfehler: Wenn Normen nicht verkehrssicher sind

Wer barrierefrei bauen will, schließt aus normgerechter Ausführung oft fälschlich auf Verkehrssicherheit. Doch gerade bei Geländeformen stößt die DIN 18040 an Grenzen. So schreibt sie bei Gehwegen keinen seitlichen Abschluss in Form eines Radabweisers vor. Verläuft ein Gehweg jedoch quer zum Hang, kann ohne Begrenzung ein Rollstuhl an der Talseite vom Weg abkommen. Hier greift das Schutzziel der Verkehrssicherheit: Ein Radabweiser ist erforderlich, auch wenn die Norm ihn nicht ausdrücklich verlangt.

Ähnliches gilt für Handläufe. Viele Lösungen erfüllen formal die Anforderungen zur Umgreifbarkeit, sind aber in der Praxis zu nah an Bauteilen positioniert – mit Quetschgefahr. Auch hier zeigt sich: Barrierefrei bedeutet nicht automatisch verkehrssicher.
Wohnanlage: Barrierefrei planen und Kosten senken
Ein Beispiel zeigt das Potenzial integrierter Planung: Bei der Erschließung einer Wohnanlage sollte ein barrierefreier Weg von der Grundstücksgrenze zu zwei Hauseingängen führen. Das Gelände wies dabei sowohl in Wegrichtung als auch quer zum Weg ein Gefälle auf. Die ursprüngliche Planung sah drei Rampen mit je 6 m Länge, mehreren Podesten und beidseitigen Handläufen und Radabweisern vor – ein erheblicher Planungs- und Kostenaufwand. Eine Analyse durch TÜV Süd ergab jedoch, dass die Strecke mehrheitlich nicht als Zugangsbereich galt, sondern als einfacher Gehweg. Damit galten andere Anforderungen.
Statt der aufwendigen Rampen reichten zwei geneigte Wegabschnitte von je 10 Metern aus. Handläufe waren nicht notwendig, ein einseitiger Radabweiser genügte. Die Baukosten sanken um bis zu 70 Prozent – bei unveränderter Funktionalität und Sicherheit.
Handläufe: Barrierefrei nach DIN, aber unsicher?

Handläufe sind ein wichtiges Element barrierefreier Gestaltung. Doch zwischen der DIN 18065 (griffsicher) und der DIN 18040 (umgreifbar) entstehen Zielkonflikte. Ein Praxisfall zeigt das: Bei einer barrierefreien Treppe wurde ein runder Handlauf mit 3,5 cm Durchmesser am Obergurt unterseitig befestigt – mit nur 1 cm Abstand. Zwar erfüllte der Handlauf auf dem Papier die Anforderungen beider DIN-Normen, ließ sich aber wegen des geringen Abstands zum Obergurt bei tatsächlicher Benutzung trotzdem nicht vollständig umgreifen. Theoretisch war er also barrierefrei, in der Praxis aber nicht verkehrssicher, da Quetschgefahr für die Finger bestand.


Die optimierte Lösung bestand in einem freistehenden Handlauf mit mindestens 5 cm Abstand zum Obergurt. Damit wurde sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Barrierefreiheit vollständig gewährleistet.
Normen kombinieren: DIN 18040, DIN 18065 und EN 17210
Ein häufiger Planungsfehler ist die isolierte Betrachtung einzelner Normen. Die DIN 18040 beschreibt den „Idealfall“ barrierefreier Nutzung, etwa bei ebenen Gehwegverläufen. Doch dieser Idealfall ist nicht überall realistisch. Die europäische Norm DIN EN 17210 bietet eine hilfreiche Ergänzung: Sie berücksichtigt komplexe Geländeformen, Gefällesituationen und Absturzhöhen. Auch die DIN 18065 für Treppenanlagen sowie die jeweiligen Landesbauordnungen und Verwaltungsvorschriften müssen einbezogen werden.
Eine frühe Auseinandersetzung mit den Schutzzielen vermeidet Nachbesserungen und erhöht die Rechtssicherheit. Erfahrene Sachverständige unterstützen dabei, normative Anforderungen mit der Praxis zu verbinden.
Treppen: Anforderungen je nach Nutzung bewerten
Auch die Nutzung spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Barrierefreiheit und Verkehrssicherheit. Treppen in öffentlichen Gebäuden unterliegen anderen Anforderungen als solche in Wohngebäuden oder Arbeitsstätten. Arbeitsstättenrichtlinien, Versammlungsstättenverordnungen und Branchenregelungen stellen zusätzliche Anforderungen, die über das bauordnungsrechtliche Regelwerk hinausgehen.
Wirtschaftlichkeit: Mehr Sicherheit, weniger Baukosten
Die Beispiele zeigen: Wer Normen isoliert anwendet, investiert oft mehr als nötig. Wer dagegen die übergeordneten Schutzziele berücksichtigt, senkt Investitionskosten und steigert die praktische Sicherheit. Eine differenzierte Betrachtung, unterstützt durch fachkundige Begleitung, zeigt den tatsächlichen Bedarf und ermöglicht funktionale, wirtschaftliche Lösungen.
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TÜV Süd: Fachbegleitung für barrierefreie Verkehrsflächen
TÜV Süd begleitet Bauherren, Architekten, Fachplaner und Betreiber frühzeitig. Mit fundierter Normenkenntnis und Praxiserfahrung helfen die Expertinnen und Experten, Potenziale zu erkennen, Risiken zu minimieren und Planung rechtssicher umzusetzen. So entstehen Wege, Treppen und Rampen, die barrierefrei, verkehrssicher und wirtschaftlich sind.



