Erst mindern, dann Vorschuss? BGH schafft neue Klarheit
Kann ein Besteller nach einer erfolglosen Minderung noch Vorschuss verlangen? Der BGH bejahte dies. In seiner Analyse bewertet Samet Gülen diese Rechtsprechung und ordnet ihre Relevanz für die Baupraxis ein - und wird dafür ausgezeichnet.

Für Bauunternehmen und Auftraggeber ist die Frage zentral, ob nach einer erklärten Minderung dennoch ein Vorschuss für die Mängelbeseitigung verlangt werden kann. Der Bundesgerichtshof hat dies 2024 bejaht – mit erheblichen Folgen für Gewährleistungsprozesse. Samet Gülen, ausgezeichnet mit dem Nachwuchspreis „Summa cum Bau“, analysiert diese Rechtsprechung kritisch und zeigt, warum die Entscheidung tief in das baurechtliche Gefüge eingreift.
Minderung gewählt – und später doch Vorschuss?
Die Ausgangslage ist bekannt: Entdeckt der Besteller Mängel, muss er sich für ein Gewährleistungsrecht entscheiden. Wählt er die Minderung, reduziert er den Werklohn. Doch wie das Unternehmen ARGE Baurecht erläuterte, steht der tatsächliche Minderwert oft erst im Prozess fest und lässt sich manchmal überhaupt nicht objektiv nachweisen.
Genau hier setzt das Urteil des BGH vom 22. August 2024 (VII ZR 68/22) an. Der VII. Zivilsenat räumt Bestellern ein nachträgliches Umstellungsrecht ein: Scheitert die Minderung, dürfen sie trotzdem Vorschuss für die Mängelbeseitigung verlangen. Für die Praxis bedeutet das mehr Flexibilität – aber auch neue Unsicherheiten.
Warum der Vorschuss trotz Minderung problematisch ist
Gülen hinterfragt in seiner prämierten Arbeit die dogmatischen Grundlagen dieser Rechtsprechung. Denn die Minderung gestaltet den Vertrag rückwirkend um. Das mangelhafte Werk gilt ab der Minderungserklärung als vertragsgemäß. Damit entfällt eigentlich die Pflichtverletzung – und genau diese ist Voraussetzung für den Vorschussanspruch.
Die Folge: Ein Vorschuss trotz wirksamer Minderung wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich. Gülen betont, dass der BGH hier nicht mit der Rechtsnatur der Minderung argumentiert, sondern mit Interessenabwägungen.
Interessenabwägung statt Dogmatik
Laut BGH verdient der Unternehmer keinen Schutz, weil er „doppelt vertragswidrig“ gehandelt habe: Er habe ein mangelhaftes Werk geliefert und die Nacherfüllung verweigert. Gülen hält dagegen: Diese Argumentation übergehe die Bindungswirkung der Minderung vollständig. Er vergleicht dies treffend mit der Vorgehensweise, „das Dach zuerst zu bauen und das Fundament danach passend zu gießen“. Seine Analyse ordnet das Urteil als Billigkeitsrechtsprechung ein, mit der der BGH Härten seiner früheren Entscheidungen zu fiktiven Mängelbeseitigungskosten abmildern wolle.
Vorgeschlagene Alternativen
Laut ARGE Baurecht zeigt die Arbeit praktikable Lösungsansätze, mit denen sich die dogmatischen Brüche entschärfen ließen. Dazu gehören:
- Auslegung von Minderungserklärungen als Androhung, sofern die Umstände darauf hindeuten.
- Verbesserte gerichtliche Wertermittlung, um Streit über Minderwerte zu reduzieren.
- Stärkere Differenzierung zwischen Einzelfällen, etwa bei eindeutigen Pflichtverletzungen.
Diese Ansätze könnten die Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöhen.
Folgen für Bauunternehmen und Besteller
Für Unternehmen bedeutet die Entscheidung: Sie können nicht automatisch davon ausgehen, dass eine Minderung das Thema Mängelbeseitigung abschließt. Forderungen können erneut aufleben.
Besteller wiederum sollten Minderungserklärungen sorgfältig abwägen. Durch das Umstellungsrecht besteht zwar eine zweite Chance, dennoch birgt die Vorgehensweise Risiken, insbesondere im Hinblick auf Prozessstrategien und Dokumentation.
Auszeichnung für wissenschaftliche Tiefe

Rechtsanwalt Dr. Oliver Koos, Vorsitzender der ARGE Baurecht, lobte die Analyse: „Samet Gülen hat sich einem hochaktuellen Problem der Baupraxis angenommen und liefert eine methodisch überzeugende Analyse. Seine Arbeit zeigt beispielhaft, wie wissenschaftliche Durchdringung und praktische Relevanz zusammenkommen können.“
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Gülen erhielt die Auszeichnung im Rahmen der 66. Tagung der ARGE Baurecht am 14. November 2025 in Hamburg. Der mit 1.000 Euro dotierte Preis würdigt herausragende Arbeiten aus dem Bereich des privaten Baurechts und ist Teil der Nachwuchsansprache, zu der auch ein Mentoring-Programm gehört.
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